Der Seins-Modus

„Viele Menschen brauchen eine Art offizieller Erlaubnis, ehe sie es wagen, vom Handlungs-Modus in den Seinsmodus umzuschalten, wohl hauptsächlich deswegen, weil wir von Kindesbeinen an daran gewöhnt sind, alles Tun höher zu bewerten, als das einfache Sein.“
(Jon Kabat-Zinn. Gesund durch Meditation, S. 100)

In unserer Kultur steht das Tun bei vielen Menschen einseitig im Vordergrund. Im MBSR geht es daher als Ausgleich dazu um die Einübung von Nicht-Tun bzw. um das Sein. Denn daraus kann wirkliche Kreativität und Produktivität (nicht Aktionismus) entstehen. Daher ist es im Alltagsgeschäft wichtig, immer wieder vom Handlungs- in den Seins-Modus umzuschalten. Beide haben ihre Daseinsberechtigung.

Vielleicht würden einige dieser Aussage noch zustimmen, aber den meisten widerstrebt es Pausen einzulegen, um dadurch produktiver zu sein. Dies liegt in dem sogenannten Action Bias begründet. Ein Beispiel dafür ist das Verhalten des Fußballtorwarts beim Elfmeter. Der israelische Forscher Ofer Azar und seine Kollegen in Israel haben sich stundenlanges Archivmaterial angesehen und stellten fest, dass die Torhüter wesentlich mehr Strafstöße halten, wenn sie in der Mitte des Tores bleiben, als wenn sie nach links oder rechts springen. Paradoxerweise entschieden sich die Keeper jedoch in 93,7 Prozent der Fälle dafür, eher zu springen als in der Mitte zu bleiben. Die Analyse von 286 Elfmeterschüssen, die in Elite-Spielen auf der ganzen Welt gemacht wurden, zeigte, dass die Torhüter 33,3 Prozent der Schüsse pariert hätten, wenn sie stehen geblieben wären, verglichen mit nur 12,6 Prozent der Schüsse beim Sprung nach rechts und 14,2 Prozent beim Sprung nach links.

Menschen neigen dazu, sich unwohler zu fühlen, wenn ein negatives Ergebnis auf etwas folgt wenn sie nichts getan haben, verglichen damit wenn sie vorher etwas getan haben. Im Falle der Torhüter bedeutet das, dass sie ein größeres Unwohlsein empfinden, wenn sie nach dem Stehenbleiben ein Tor hinnehmen müssen, verglichen damit wenn sie in eine Ecke gesprungen wären. Wenn der Ball nach dem Sprung hinter ihnen im Netz landet, hat es sich zumindest angefühlt, als hätten sie einen ordentlichen und akzeptablen Versuch unternommen ihn zu halten.

Wir tendieren also lieber etwas zu machen, beschäftigt zu sein, weil wir nicht den Eindruck erwecken wollen untätig etwas hinzunehmen. Dieser Eindruck könnte unserer Meinung nach bei anderen Menschen, Kollegen, Familie, Freunden, entstehen, aber auch, was noch viel subtiler und entscheidender ist, aufgrund unserer inneren Antreiber, uns selbst gegenüber.

Daher lernen wir im MBSR mit uns selbst in Kontakt zu gelangen und das wohltuende des Seins zu erfahren.

Der Action Bias ist übrigens die umgekehrte Manifestation dessen, was in der Wirtschaftspsychologie als der Effekt der Untätigkeit oder der Unterlassungseffekt (engl. Omission Bias) bekannt ist. Hier erstarren Menschen wenn eine Handlung subjektiv als riskant angesehen wird. Insbesondere wenn aufgrund der Verhaltensoption, die in einem Unterlassen besteht, wenig Schaden in Form von Kritik oder Strafen für sich selbst zu erwarten ist.

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