Viele Unternehmen haben Trainings für ein besseres Stressmanagement für die Mitarbeiter aufgesetzt, da die Stressbelastung immer mehr zunimmt und effektiver Umgang mit Stress ist zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für Produktivität, Mitarbeiterbindung und Unternehmenserfolg geworden.
Stressmanagement ist häufig beim Gesundheitsmanagement angesiedelt und fokussiert die Verbesserung der individuellen Stresskompetenz des Einzelnen. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Organisationen die Verantwortung auf die Mitarbeitenden abwälzen und die Möglichkeiten auf organisatorischen Ebene vernachlässigen, bzw. ignorieren. Stressmanagement ist aber auch ein Thema das auf struktureller Ebene adressiert werden sollte, mögliche Bereiche sind Führung, Entscheidungsfindungen, Arbeitsmittel, Arbeitsorganisation, etc.. Für mich ist die „Organisationale Achtsamkeit“ daher eine wichtige Säule des Stressmanagements auf struktureller Ebene. Dazu habe ich mir ein paar Gedanken gemacht und freue mich über Feedback dazu.
Betriebliches Gesundheitsmanagement
Wenn ich mit Ansprechpartner in Unternehmen im Kontakt bin, kommen wir häufig auch auf das Thema Stressmanagement zu sprechen. Achtsamkeit ist ja auch eine Möglichkeit weitere Stressbewältigungskompetenzen aufzubauen. Viele Firmen haben auch schon Programme zu dem Thema für Mitarbeitende implementiert. Es freut mich sehr, dass die Entstehung und die Auswirkungen von Stress in Organisationen aktiv adressiert werden. Der effektive Umgang mit Stress ist zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für Produktivität, Mitarbeiterbindung und Unternehmenserfolg im Allgemeinen geworden.
Häufig fokussieren diese Programme allerdings die individuelle Stresskompetenz, das heißt, wie gehen die Mitarbeitenden mit Stress um, wo liegen die persönlichen Anteile und wie können sie die Auswirkungen positiv beeinflussen. Das Stressmanagement ist daher häufig beim Gesundheitsmanagement in Unternehmen angesiedelt. Darin liegt aber eine Gefahr, die Verantwortung für den Umgang mit dem Stress an die Mitarbeitenden zu delegieren. Neben der individuellen Stresskompetenz, wird auch ein strukturelles und auf organisatorischen Ebene etabliertes Stressmanagement benötigt. Eine wichtige Säule für die Implementierung ist aus meiner Sicht die „Organisationale Achtsamkeit„.
Beispiel: Digitaler Stress
2018 wurde eine der ersten repräsentativen Umfragen zu digitalem Stress in Unternehmen vorgelegt. Dazu wurden durch eine Frauenhofer Projektgruppe für Wirtschaftsinformatik über zweieinhalbtausend Beschäftigte befragt. Folgende Punkte wurden unter anderem abgefragt. Was genau ruft an ihrem Arbeitsplatz den Stress hervor? Mit welchen digitalen Technologien haben es die Beschäftigten zu tun? Wie kompetent fühlen sie sich im Umgang mit ihnen? Die Digitalisierung scheint den Stresspegel bei vielen Arbeitnehmern zu erhöhen – und je höher er ist, desto häufiger berichteten die Befragten auch von Gesundheitsbeschwerden.
Ein überraschendes Ergebnis war, dass digitaler Stress nicht durch die Nutzung digitaler Technologien per se, also z.B. durch die ständigen Unterbrechungen oder die permanente Erreichbarkeit über Smartphones und Laptops entsteht. Vielmehr tritt er dort auf, wo der Digitalisierungsgrad des Arbeitsplatzes nicht zu den Kompetenzen der Arbeitnehmer passt.
Gründe für diese Diskrepanz sind häufig Managemententscheidungen, schlechte Arbeitsorganisation und Führungsfehler. Auch der Stress, der bei der Umstellung von IT-Systemen und Software entsteht, ist oft führungsgemacht, bzw. in den Einführungsprojekten wird der Aspekt der Vermittlung von Kompetenz an die späteren Benutzer mit nur einer geringen Priorität berücksichtigt.
In der Praxis dauern Einführungsprozesse länger, die Ressourcen für Einführungsprozesse werden nicht bereitgestellt, meistens müssen die Leute Systemumstellungen während der Arbeit bewältigen, haben keine Freistellung von ihren anderen Aufgaben dafür. Die Probleme werden oft nicht gesehen und die Projektlaufzeiten werden unterschätzt.
Aber nicht nur die Art wie neue Systeme eingeführt werden belastet Mitarbeitende, mancherorts ufern auch die Dokumentationspflichten aus, weil die Verwaltung entscheidet, dass alles erfasst werden muss. Oder es herrscht ein Klima der Schuldzuweisungen, weshalb sich alle alles lieber schriftlich geben lassen und noch dazu möglichst viele in Kopie setzen.
Vermutlich lassen sich die Erkenntnisse zum digitalen Stress auch auf weitere Bereiche in Unternehmen, in den Stress entsteht, ausweiten. Weitere Bereiche sind vor allem das soziale Miteinander auf den unterschiedlichen Ebenen und Transparenz bei Entscheidungen.
Organisationale Achtsamkeit
Es ist also viel grundlegendere Überlegung über die Qualität der Arbeit notwendig, Stress darf nicht zum persönlichen Problem werden.
Eine Darstellung nach individuellen, kollektiven und inneren, äußeren Wirkungsräumen der Achtsamkeit kann durch das integrale Model der Organisation erfolgen. Dabei sind diese Bereiche alle miteinander verzahnt und beeinflussen sich gegenseitig. Die Organisationskultur und die Führung finden sich im dritten Quadranten wider und die organisationale
Achtsamkeit im vierten Quadranten.
Es ist also auch ein Kulturwandel notwendig, der mit Änderungen in Strukturen und Arbeitsabläufen einher gehen kann oder sogar muss. Unter der „Organisationalen Achtsamkeit“ verstehe ich, in wieweit Unternehmen in der Lage sind konkrete lösungsorientierte Handlungen aus internen Beobachtungen und Reflexionen abzuleiten und diese auch umzusetzen. Dabei liegt ein Fokus auf dem Ausgleich von Stabilität und Flexibilität, insbesondere vor dem Hintergrund von kontinuierlichen Veränderungsprozessen. Dadurch kann der Stress bei Mitarbeitenden auf ein erträgliches Maß reduziert werden und Möglichkeiten zur Regeneration geschaffen werden.
Ganz nebenbei erhöht dies noch die Entwicklungsfähigkeit von Unternehmen in dynamischen und unsicheren Umwelten.
Thomas Bormuth
Stärkung individueller Stresskompetenz trotzdem nicht vernachlässigen
Mir ist aber auch wichtig, dass die Förderung der individuellen Stresskompetenz ebenfalls weiter fortgeführt wird. Die „Organisationale Achtsamkeit“ ist nämlich sowohl auf Achtsamkeit auf der Individualebene als auch auf die Ebene der Organisation angewiesen.